Durban Strand & Promenade

 

Lewis Nkosi

 

Lewis Nkosi. 2003 (1987). Weiße Schatten. München: dtv. Über­setzung ins Deutsche Eva Borne­mann. (Engl. Original: 1987 (1983/1986). Mating Birds. Johannesburg: Raven Press).

 

Der Roman berührt den neuralgischen Punkt des rassi­sti­schen Regimes in Südafrika: die sexuellen Bezieh­ungen zwischen Angehörigen unterschiedlicher Hautfarbe. Dem Protagonisten Sibiya steht im Südafrika der Apartheid die Todes­strafe bevor. Er wird der Vergewaltigung einer weißen Frau beschuldigt. Er hatte sie am Strand in Durban gesehen, der wie alle Lebensbe­reiche für Schwarze und Weiße getrennt war. Im Bewusstsein seines nahen Todes erzählt Sibiya einem Schweizer Psycho­analytiker seine Geschichte.

 

Der Strand: BADEZONE – NUR FÜR WEISSE

 

Ich sehe ihn deutlich vor mir: den Strand, die Spielplätze, die Hotels an der Seeseite, die schwitzenden, rosagesichtigen Touristen aus dem Landesinneren. Die beste Zeit aber ist jene stille, träge Mittagsstunde, wenn sich der Strand wie magisch geleert hat und alle Badenden zurückgetrieben wurden in die Restaurants an der Seeseite und die vorübergehenden Zufluchts­stätten ihrer Hotelzimmer. Dann war der Strand nicht nur mit angebissenen und weggeworfenen belegten Broten übersät, sondern man fand auch hier und da einmal eine Armbanduhr, einen wertvollen Ring oder ein elegantes Spitzentaschentuch mit Lippenstiftflecken irgendeines anonymen Mundes. Nicht selten aber lassen die Touristen ein noch wertvolleres Strandgut zurück: einen jungen Körper, erschöpft und reglos auf dem warmen weißen Sand, um von uns angestarrt zu werden, uns, den schweigenden nichtweißen jungen Männern mit schwarzer, unbändiger Wut.

Und so war es gekommen, dass ich eines Nachmittags zum ersten Mal auf das englische Mädchen stieß und sah, wie sie da lag, auf einem verlassenen Streifen Strand von Durban, als sei sie heran gespült worden von den Flutwellen eines Sturmes, der die ganze Nacht gewütet hatte, eine goldene Statue, wunder­schön und zerbrochen zwischen den Ruinen einer antiken Stadt. Zugleich war sie schockierend lebendig, sonnenöltropfend und glühend von der Sonne, die auf ihren ausgestreckten Körper fiel. Man könnte sagen, ihr Fleisch war den hungrigen Blicken der afrikanischen jungen Männer ausgeliefert, die den Strand täg­lich nach verlorenen oder weggeworfenen Dingen absuchten.

 

2

 

Ach ja, ich habe oft darüber nachgedacht (wie ja die meisten Männer sich zu besinnen pflegen, wenn es bereits zu spät und das Spiel verloren ist), wie wohl meine Leben verlaufen wäre, wenn ich nicht an jenem heißen Oktobertag an den Strand gegangen oder wenn ich, einmal dort, in sicherem Abstand auf meiner Seite des Strandes geblieben wäre, anstatt mich so nah zu jenem Abschnitt zu wagen, der als BADEZONE – NUR FÜR WEISSE bekannt ist. Würde ich in einer Gefängniszelle schmach­ten, auf den Tod durch Erhängen wartend, oder würde ich meinem Lebens­wunsch gefolgt sein, der erste wahrhaft große afrikanische Autor meines Landes zu wer­den – eine Zukunft, die so viele meiner Freunde und Lehrer voller Zuversicht für mich vor­aus­gesagt hatten? Ich muss gestehen, ich weiß es nicht. Auf jeden Fall ist es zu spät, darüber zu spekulieren. Freitag, so sicher wie die Sonne im Osten aufgeht, werden sie mich hängen. Man wird mich aus meiner Zelle führen, mir befehlen, die letzten Stufen am Galgen zu erklimmen, und zur festgesetzten Stunde, benommen, betäubt und mit verbundenen Augen werde ich den Schritt ins Leere tun. Ich werde Zeit haben, mich an den schreck­­lichen Richterspruch zu erinnern: “Als Sühne für das verabscheuenswerte von Ihnen begangene Verbrechen soll man Sie an einen Ort der Hinrichtung führen, wo Sie aufgehängt werden, bis der Tod eingetreten ist; und möge Gott Ihrer Seele gnädig sein!”

Harte Worte. Entsetzliche Worte. Trotzdem hege ich keinen Groll gegen den Richter. Im Verlauf des Prozesses hat er mehr­mals betont, dass er nur seine Pflicht tue, dass ihn seine eigenen Ansichten überhaupt nicht beeinflussten. Um ganz ehrlich zu sein: Bin ich so sicher, dass ich ganz und gar unschuldig bin an dem Verbrechen, dessen man mich bezichtigt? In jenem Strand­bungalow ist alles so schnell passiert, dass ich mir damals kaum bewusst war, ob das, was geschah, sich nur auf den Wunsch des Mädchens hin zutrug, oder ob ich meinem eigenen, unbe­rechen­baren Impuls folgte. Worüber ich jedoch keine Zweifel hege, ist, dass der Keim meiner eigenen Vernichtung bereits an jenem Tage eingepflanzt wurde, als ich zum ersten Mal das Mädchen am Strand von Durban habe liegen sehen, denn das, was später geschah, war nur das Reifen jenes Keimes und das Ernten des Korns wollüstiger Überheblichkeit, das im Laufe der Wochen immer höher gewachsen war, bis es wie ein mächtiges Unkraut mein ganzes Leben überwucherte.

Zu spät ist es nun, über die warnenden Worte meines Vaters nachzudenken, die für alle jungen Männer, die in die Stadt gehen wollten, galten. Hatte der alte Mann nicht oft gesagt: “Begehre niemals eine weiße Frau, mein Sohn. Mit ihren bemalten Lippen, ihrer weichen, hellen Haut ist eine weiße Frau nichts weiter als ein Köder, der ausgelegt wird, um unsere Männer zu vernichten. Unsere Sitten sind nicht die der weißen Menschen, ihre Sprache ist nicht die unsere. Weiße Menschen sind glatt wie Aale, aber sie verschlingen uns wie Haie.” Und so ist es gekommen. Selbst­verständlich hatte ich seinerzeit den Rat und die Warnun­gen des alten, verschrobenen Mannes überhaupt nicht beachtet. Erst als der Köder geschluckt war und der Haken fest in meiner Gurgel saß, erinnerte ich mich an die Worte meines Vaters. An jenem Tag, da ich am Strand lag und dem englischen Mädchen begeg­nete, sah ich nur, was die Autorität der Weißen mit so vielen Gesetzen und Strafandrohungen verboten hatte, was meine Augen nicht sehen durften: ein anderes menschliches Wesen. Eine Frau mit einem weichen, gerundeten, begehrenswerten Körper. Und in Reichweite. Das ist es, was ich sah. (S. 8-12)

 

Zu Autor und Werk:

Lewis NkosiLewis Nkosi (1936 – 2010) ist ein inter­national preisgekrönter Autor von Romanen, Kurzgeschichten und Theater­stücken, Journalist, Essayist und Kritiker. Ab 1960 lebte er im Exil – in den USA, in Afrika und in Europa. 1991 kam er zum ersten Mal nach Südafrika zurück und besuchte es danach regelmäßig, auch als Gastprofessor an den Universitäten Cape Town und Durban-West­ville. Die letzten Jahre lebte er in der Schweiz; seine Grabstätte liegt in Durban.

Lewis Nkosi wurde in Chesterville in Durban geboren. Er arbeitete viele Jahre als Herausgeber und Journalist – in Durban schrieb er für Ilanga lase Natal, in Johannesburg in den 1950er Jahren für die Zeitschrift Drum, in London für den New African und in den USA für NET. Er ist Autor verschiedener Essay-Sammlungen wie Home and Exile (1965), zweier Theater­stücke, The Rhythm of Violence (1964) und The Black Psychiatrist (2001) und der Romane: Mating Birds (1983/1986; deutsche Ausgabe: Weiße Schatten (1987/2003)), Underground People (2002) und Mandela’s Ego (2006). Mating Birds wurde damals vom Apartheidregime verboten. Der Roman erhielt große inter­nationale Beachtung und Anerkennung; er wurde schnell ins Deutsche übersetzt und 2003 nochmals aufgelegt.

Nkosi lehrte als Professor für Literatur an Universitäten in Sambia, in den USA (Wyoming, California) und in Polen (War­schau). Während seiner Zeit in der Schweiz schrieb er, neben seinen literarischen Werken, auch Essays und Literaturkritiken, trat bei Lesun­gen und zahlreichen internationalen Konferen­zen auf. Sein Werk wurde kritisch gewürdigt in Lindy Stiebel/Liz Gunner (eds.), Still Beating the Drum. Critical Perspectives on Lewis Nkosi (2005) und 2014 gaben Lindy Stiebel/Therese Steffen eine Sammlung seiner E-mail-Korrespon­denz heraus: Letters to my Native Soil. Lewis Nkosi writes home (2001 – 2009). In Anerkennung seiner Leistungen wurde ihm 2008 vom Präsidenten der Republik Südafrika der Ikhamanga-Orden verliehen. (Siehe auch Lewis Nkosi bei Orte: Durban City)

 

 

Imraan Coovadia

 

Imraan CoovadiaImraan Coovadia. 2011. Gezeitenwechsel. Heidelberg: Verlag Wunderhorn; Übersetzung ins Deutsche Indra Wussow. (Engl. Original: 2010. High Low In-Between. New Delhi: Harper Collins Publishers India).

 

Der Roman spielt im Milieu einer Familie der indisch-stämmi­gen Mittel­schicht in Durban im neuen Südafrika. Er greift viele Fragen der Umbruchzeit auf, u.a. das Thema HIV/AIDS und die Kontroverse darum während der Präsidentschaft von Thabo Mbeki. Es geht im Roman um Täuschung und um Verrat, um Mord und Intrigen und um Rätselhaftes. Aus­­gangs­punkt ist der ungeklärte Tod des Arztes und Virologen Arif, eines Professors an der Universität. Seine Ehefrau Nafisa macht sich auf die Suche nach der Wahrheit, was sie mit den sozialen und politi­schen Enttäu­schungen und den Widersprüchen im heutigen Südafrika konfrontiert. Ihr Sohn Shakeer, in der Familie Sharky genannt, ist ein Fotograf, der in der ganzen Welt unterwegs ist. Er kommt zu Besuch nach Durban und stellt fest, nichts ist dort mehr, wie es war oder wie es scheint.

An einem Abend machen Mutter und Sohn einen Spaziergang an der Strandpromenade, etwas, was sie schon viele Jahre nicht mehr getan hatten.

 

Spaziergang an der Strandpromenade

 

Sie parkten an der Marine Parade. In zehn Minuten war man zu Fuß an der alten Natal Command. Es war noch zu früh, etwas nur aus Freude an der Sache zu machen. Das galt für das Leben ebenso wie für die Geschichte allgemein. Dieser Spaziergang war eine Angewohnheit seines Vaters gewesen, der oft alleine hierher gekommen war. Der Professor hatte das lebhafte Trei­ben am Strand genossen… auch seine schäbige Seite.

Vor zwanzig Jahren war dieser Strandabschnitt nur für Weiße reserviert gewesen, damals war sein Vater noch einfacher Dozent. Schwarze waren an die Strände fern der Hotels verbannt worden. Als Inder war es einem erlaubt gewesen, auf der Prome­nade entlangzugehen. Dort hatten die Eiswagen gestanden, die das pinkfarbene künstliche Eis verkauften. Den Sand hatte man nicht betreten dürfen. Das Meer hatte allen Menschen gehört.

Vor zwanzig Jahren waren viele nur aus Freude an diesem Ausflug in ihren Oldtimern von Kloof und Hillcrest hinunter bis an den Strand gefahren. Am Remembrance Day hatten sich diese Autofahrer Mohnblumen ans Revers gesteckt, um der Toten zu gedenken, die für das britische Empire im Ersten Weltkrieg gefallen waren.

Die Mohnblumen gab es nicht mehr. Der Feiertag war abge­schafft worden. Die Autofahrer kamen nicht mehr. In der Silvesternacht 1990 waren die Rassenschranken gefallen, und der Strand war von zweihunderttausend Nachtschwärmern aus den Townships besetzt worden.

Shakeer war damals mit seinem Vater nach North Beach hinausgefahren. Die zweihunderttausend Menschen am Strand waren durch das Licht aus den Scheinwerfern der Sammeltaxen und durch den Rauch der vielen Feuer, die überall am Strand in Fässern gebrannt hatten, verdeckt worden. Diese riesige Menschen­masse aus Armen und Schwarzen hatte niemanden bedroht. Es war ein fröhlicher Sieg gewesen.

Heute waren in den heruntergekommenen Bars keine Lichter zu sehen. Die Landungsbrücken waren nicht lang, verschwanden dennoch im Nebel.

Hinter ihnen lagen vermutlich die Containerschiffe auf Reede. Ihre langen Frachtflächen wurden spät am Abend beleuchtet. Sollte er ein Foto von dem wolkenverhangenen Ozean machen? Das Licht war falsch. Außerdem handelte es sich um ein überaus strapaziertes Motiv. Er würde in Kürze mit Estella einen Medizin­­mann aufsuchen und hoffte, dort interessantere Bilder zu produzieren.

“Man kann die Schiffe gar nicht sehen.”

Nafisa sagte: “Weißt du, dass ich immer froh war, im Stillen froh war, wenn der Himmel bewölkt war? Dann dachte dein Vater nicht mehr über diese Schiffe nach.

Die Schiffe lagen vor Anker, um die teuren Hafengebühren zu sparen. Während der Wirt­schafts­sanktionen unter dem alten Regime war der Professor stets unnachgiebig geblieben. Dieses Land musste wirtschaftlich in den Ruin getrieben werden. Eines klaren Abends war er sehr verbittert gewesen, als er die vielen auf Reede liegenden Schiffe gesehen hatte, die dort unter taiwa­nischer oder panamanischer Flagge ankerten. Welch ein Hohn!

Auf seine Art hatte sein Vater sich sehr intensiv mit dem be­schäftigt, was ihn gestört hatte. Shakeer war da anders. Generell machte er sich nicht viele Gedanken. Er kam ganz nach seinem anderen Elternteil. Komischerweise gelang es ihm trotz dieser Ähnlichkeit nicht, diesen Elternteil besser zu verstehen.

Während sie spazieren gingen, dachte Sharky daran, dass es bisher kein Fotograf geschafft hatte, den besonderen Gesichts­ausdruck seiner Mutter einzufangen., Sie wechselte häufig ihre Stimmungen, war intensiv und sprunghaft. Wollte man ein gelungenes Portraitfoto machen, musste man das Objekt auf der anderen Seite der Linse verstehen. Das war ihm bei seiner Mutter noch nicht gelungen.

Heutzutage konnte man seine Kamera sowieso nicht mit gutem Gewissen aus der Tasche ziehen. Fotos waren unwichtig und unseriös geworden. Die Menschen starben wie die Fliegen.

Sie kamen am Turm der Rettungsschwimmer vorbei und Nafisa dachte an etwas.

“Diese Kamera um deinen Hals bedeutet nur Ärger. Wenn es dir ernst ist und du morgen wirklich Estella begleiten wirst und dabei die Kamera mitnehmen willst, solltest du sie am besten gleich zum Auto bringen. Ich gebe dir die Schlüssel, und du packst sie in den Kofferraum. Wenn du glaubst, dass die Sache morgen so wichtig ist…”

“Mach dir mal keine Sorgen um mich. Das ist mir das Risiko wert. Du hast ja auch dein Telefon mitgenommen.”

“Natürlich habe ich es mit, denn als Ärztin muss man für seine Patienten erreichbar sein. Wenn ich überfallen werde, dann ist es eben so.” (S. 202-204)

 

Imraan Coovadia - Profile

Zu Autor und Werk:

Imraan Coovadia (geb. 1970) wurde in Durban geboren, studier­te in Harvard und Yale und lebte abwechselnd in New York und Durban; heute lehrt er an der University of Cape Town Literaturwissenschaft und Creative Writing. Er ver­öffentlichte eine Vielzahl von Romanen, darunter The Wedding (2001), Green-Eyed Thieves (2006 ), High Low In-Between (2009; deutsche Ausgabe:

Coovadia Vermessenes Land

Gezeitenwechsel, 2011), The Institute for Taxi Poetry (2012) und Tales of the Metric System (2014) und wurde mehrfach ausgezeichnet. Tales of the Metric System erschien 2016 auf Deutsch unter dem Titel Vermesse­nes Land. Der Roman erzählt von zehn Tagen Leben in Süd­afrika, verteilt über die Jahre zwischen 1970 und 2010 und ist so ein Kaleidoskop südafrikani­scher Wirklichkeiten zur Zeit der Apart­heid bis zur Zeit des “Neuen Südafrika”. Die ersten drei Kapitel porträtieren die indische, weiße u

nd schwarze Gesellschaft in Durban in den 1970er Jahren.

(Zu Coovadia siehe auch Ausflug Grey Street und Texte Grey Street).

 

 

Ashwin Desai

 

Ashwin Desai. 2014. The Archi-texture of Durban. A Skapie’s Guide. Durban: Madiba Publishers. (Übersetzung des Text­aus­zugs Gisela Feurle).

 

Die Farbe der Apartheid-Strände

 

Durban in den frühen 1970er Jahren. Meinem Vater war es in aller Schärfe bewusst, dass sein Adrenalin geladener Sohn in einem Betongefängnis wohnte. Deshalb unternahm er mit mir am Wochenende Ausflüge. An Sonntagen. Der Strand war nur zehn Minuten zu Fuß entfernt, wenn man jedoch seine braunen Zehen in den Sand stecken wollte, war es eine halbe Stunde weiter. Am Rand des ‘exklusiven’ Strandabschnitts beobachteten wir dann für gewöhnlich weiße Jungen und Mädchen, wie sie auf den Trampolinen spielten. Wir sahen indische Kellner unter­würfig, wie es sich gehörte, umher hasten und das georderte Essen auf Tabletts stellen, die an den Seiten­fenstern der Autos ein­gehängt waren. […]

Mein Vater pflegte langsam den Deckel der Thermoskanne abzuschrauben. Er goss etwas Tee ein, blies sanft darüber und reichte ihn mir. Dann tauchten die Käse-Tomaten-Sandwiches aus der Verpackung auf. Alle Handbewegungen immer in Zeitlupe, was das Gefühl des Magi­schen nur noch erhöhte.

Die Kinder verließen die Trampoline und liefen zu den Seiten der Autos, mampften ihr Essen, schlürften ihre Milchshakes und rannten zurück. Höher und höher flogen ihre Körper. Mein Gesicht wurde gegen die Windschutzscheibe geworfen, während mein Staunen Purzelbäume hierhin und dorthin schlug.

Einmal sah ich einen Mann mit brauner Hautfarbe am Strand. Ich stieß meinen Vater an und platzte heraus, “da ist ein Farbiger, Papa”. Mein Vater meinte, ich solle nicht so dumm sein: “Das ist doch Rodney Kitchen, der robuste Abwehrspieler von Durban United.” Er sah farbig aus, er griff an wie ein Farbiger, er hätte niemals den Bleistift-Test bestanden, aber irgendwie war er weiß.

Man denke an Rajesh Gopies denkwürdige Zeilen aus “Out of Bounds”: “Inder zum Indischen Strand” ruft der weiße Polizist, als er Lals Familie verjagt. Die Antwort ist verwirrend: “Aber das ist der Indische Ozean, Sir, ganz und gar Indisch.” […]

Als schließlich ‘Nicht-Weißen’ der Zugang zur Golden Mile erlaubt wurde, ging dies so: Weiße, Farbige, Inder und Afrikaner. In dieser Abstufung eignete sich auch der Strand zum Schwimmen. An dem nicht-weißen Strand ging es meist so steil hinab, dass es einem die Füße wegriss, und wenn nicht dadurch, dann durch den enormen Rückstrom.

Heute ist die Promenade ein phantastischer offener Ort. Sicher­lich, die alten kitschigen Restaurants, wie Starfish Café, wurden aus dem Weg geräumt, um durch Fast-Food-Imbisse ersetzt zu werden. Jetzt nehmen Frauen in Purdah-Verschleie­rung ein Sonnenbad, während Sand-Bildhauer sich vor der Polizei ver­stecken und die Shembe ihre Taufrituale im Wasser veran­stalten. Dort in der Ferne sehe ich den marxistischen Wissenschaftler Patrick Bond auf dem Surfbrett. Er verschwin­det nach links, nur um rechts zurück zu surfen. (S. 86-90)

 

Zu Autor und Werk:

Ashwin DesaiAshwin Desai, Soziologe und Aktivist, wuchs in Durban auf. Er legte seinen Master an der Rhodes University in Südafrika ab, promovierte 1993 in den USA und war Professor für Soziologie an der University of Johannesburg. Derzeit arbeitet er am Centre for Civil Society an der Universität von KwaZulu-Natal und lehrt auch Journalismus am Durban Institute of Technology und dem Workers College. Seine wissenschaft­lichen und populären Veröffent­lichungen greifen historische und gegenwärtige sozial­politische Themen auf, wie die Geschichte der indischen Ver­trags­arbeiter in Südafrika, Sport und (Post-) Apart­heid, Armut in der Post-Apartheid-Gesellschaft und soziale Bewegun­gen in Südafrika, häufig auch mit Bezug auf Durban und KwaZulu-Natal.

In seinem Band The Archi-texture of Durban. A Skapie’s Guide (2014), einer Sammlung von kurzen Essays zu verschiedenen Stadtteilen und Orten in Durban und Umgebung, wirft Ashwin Desai einen (sozial)kritischen und scharfen Blick auf die heutige Stadt, ihre Probleme und Widersprüche. Es ist ein informeller Führer, so kann der Untertitel Skapie’s Guide (Skapie ist Afrikaans für Schaf) verstanden werden. Ausgangspunkt sind meist Beobachtungen zur Vergangenheit und Verände­rung der Orte, verwoben mit persönlichen Erinneru­ngen und anderen Texten. So entwirft Desai ein leben­diges und nicht-romantisie­ren­des Bild der Stadt. Es geht zum Beispiel um das geplante Groß­projekt der Hafenvergrößerung in Süd-Durban und dessen Umwelt­­problematik, um das Rotlicht­milieu der Point Road, die ironischer­weise in Mahatma Gandhi Street umbenannt wurde, um den berühmten Botanischen Garten Durbans, die Stadtteile Chats­worth und Grey Street, geprägt durch die Geschichte ihrer indischen Bewohner, um Hotels und Rickshaw-Fahrer an der Prome­nade oder – wie im Textauszug – um den Strand während der Apartheid und heute. Der darin erwähnte “Bleistifttest” bezieht sich auf einen von den Apartheid­behörden vorgenom­men “Test”, um Schwarze, Farbige, Weiße zu “unterscheiden”: bleibt der Bleistift im gelockten Haar stecken oder nicht? Die genannten Shembe sind die älteste unabhängige einheimische Kirche Südafrikas, eine religiöse Bewegung mit Wurzeln in Zulu-Traditionen. (Siehe zu den Shembe den Ausflug Inanda/INK).

 

Für die weitere Lektüre:

 

Lewis Nkosi :

Nkosi, Lewis. 2003 (1987). Weiße Schatten. München: dtv; Übersetzung ins Deutsche Eva Bornemann. (Engl. Original: 1987 (1986).) Mating Birds. Johannesburg: Raven Press.

Nkosi, Lewis. 2002. Underground People. Cape Town: Kwela Books.

Nkosi, Lewis. 2002. “Blick in die Grauzonen der Post-Apartheid-Gesellschaft. Die Freiheit der Desillusionierten”. Neue Züricher Zeitung: 22.7.2002.

Nkosi, Lewis, 2006. Mandela’s Ego. Houghton: Umuzi.

Stiebel, Lindy/Steffen, Therese (eds.). 2014. Letters to my Native Soil. Lewis Nkosi writes home (2001-2009). Berlin/Zürich: LIT Verlag.

Imraan Coovadia

Coovadia, Imraan. 2001. The Wedding. New York: Picador.

Coovadia, Imraan. 2011. Gezeitenwechsel. Heidelberg: Verlag Das Wunderhorn. Aus dem Englischen von Indra Wussow.

Coovadia, Imraan. 2016. Vermessenes Land. Heidelberg: Verlag Das Wunderhorn. Aus dem Englischen von Susann Urban.

Ashwin Desai:

Desai, A./Vahed, G./Waetjen, T. 2010. Many Lives: 150 Years of Being Indian in South Africa. Pietermaritzburg: Shuter & Shuter.

Desai, A./Vahed, G. (eds.). 2013. Chatsworth: The Making of a South African Township. Pietermaritzburg: UKZN Press.

Desai, A. 2014. The Archi-texture of Durban. A Skapie’s Guide. Durban: Madiba Publishers.

 

Zu den anderen Orten:

Durban City

Durban Hafengebiet

Pietermaritzburg

 

Zum Seitenanfang

Powered by WordPress. Designed by WooThemes