Patel, Essop (ed.). 2005 (1975). The Works of Nat Nakasa. Johannesburg: Picador Africa. (Übersetzung der Textauszüge Gisela Feurle).
Nat Nakasa lehnte sich gegen die rassistische Ungleichbehandlung von Menschen auf. Diese war allgegenwärtig und bestimmte das tägliche Leben der schwarzen, indischen und farbigen Bevölkerung unter dem Apartheidregime. Mit Vorliebe führte er die Apartheid-Vertreter vor und machte sich über sie lustig, wie hier beim Anruf an einem Fahrkartenschalter. Das gelang ihm leicht, sprach er doch aufgrund seines Familienhintergrunds und seiner Schulbildung ein gepflegtes Englisch.
Überschrittene Linie
Es geschah in Durban. Ich rief bei einem Fahrkartenschalter wegen eines Zugtickets nach Johannesburg an.
‘Könnten Sie mir bitte einen Platz im Nachtzug nach Johannesburg für Mittwochnacht reservieren?’, fragte ich.
Fahrkartenverkäufer (FV): ‘Selbstverständlich, Sir. Könnten Sie bitte eine Minute am Apparat bleiben?’
Ich: ‘Ja.’
FV (nach einer Weile): Sind Sie noch dran, Sir? Es tut mir leid, der Zug am Mittwoch ist vollständig ausgebucht, Sir.’
Ich: ‘Wie ist es am Donnerstagmorgen?’
FV: ‘Ich schaue nach, Sir. Können Sie nochmal am Apparat bleiben?’
Ich: ‘Ja.’
FV: ‘Sind Sie noch dran, Sir? Ja, ich kann Ihnen einen Platz im Zug am Donnerstagmorgen buchen. Wie ist der Name, Sir?’
Ich: ‘Nathaniel Nakasa’.
FV: ‘Sagten Sie MacArthur, Sir? Können Sie bitte buchstabieren?’
Ich: ‘N-A-K-A-S-A, Nakasa.’
FV: ‘Welche Nationalität dürfte das sein?’
Ich: ‘Afrikaner.’
FV: ‘Verdammt! Warum, verdammt nochmal, hast du mir nicht gleich am Anfang gesagt, dass du ein Eingeborener bist?’
Ich: ‘Das tut mir leid, Sir.’
FV: ‘Halt die Klappe! Jy lieg!’ [Afrikaans: Du lügst]. (S. 123)
Zerstörung des alten Superman-Bildes
Als ich ein Schuljunge war, verbrachte ich meine Ferien damit, mir in den Gärten weißer Familien zwei Schillinge am Tag zu verdienen. Ich trug auch Wäschebündel aus, auf dem Kopf, zu Apartmentbewohnern in der Stadt.
In dieser Zeit begegnete ich ganz unmittelbar der materiellen und sozialen Überlegenheit dessen, was ich damals oberflächlich als ‘den weißen Mann’ kannte.
Der weiße Mann war, so wusste ich damals, so etwas wie ein Superman. Telefone, Schiffe und Flugzeuge kannte ich als ‘Zauber des weißen Mannes’. Jeder um mich herum schien dieses Bild von Weißen zu teilen. Wenn wir Arbeiter große Felsen mit Dynamit sprengen sahen, dann schüttelten wir voller Ehrfurcht den Kopf. Die Weisheit des weißen Mannes schien keine Grenzen zu haben.
Sogar die Filme, die wir als Schulkinder sahen, vermittelten uns die gleiche Vorstellung. Wir sahen, wie amerikanische Cowboys tausende Indianer überwältigen. Wir sahen, wie Entdecker Horden von afrikanischen ‘Wilden’ im Dschungel überlisteten. Sogar in der Kirche war der Teufel ein schwarzer Schrecken und Gott die weiße, väterliche Gestalt.
Wie viele meiner Zeitgenossen lernte ich das Schwarzsein verachten und zu denen aufschauen, die weiß waren. Aber das war vor langer Zeit. Die Dinge haben sich mit der Zeit verändert. Zunächst einmal, ich kann nicht mehr wirklich von ‘dem weißen Mann’ sprechen. Ich habe eine Menge Leute kennengelernt, die weiß sind; ich kenne sie als Freunde oder Fremde, Mütter und Söhne. Heute vom weißen Mann zu sprechen bedeutet mir überhaupt nichts mehr.
Verschwunden ist mein Bild vom Superman. Und was mich jetzt bewegt, ist zu schauen, wie dieses Bild über die Jahre zerstört wurde. […] (S. 185)
Zu Autor und Werk:
Nathaniel (Nat) Nakasa (1937 – 1965) wurde in Durban geboren, seine Mutter war Lehrerin, sein Vater Setzer und Autor. Er wuchs im Township Chesterville, einem Teil von Cato Manor/ Durban, auf, ging einige Jahre auf eine Missionschule in Eshowe und arbeitete danach bei der Zulu-sprachigen Zeitung Ilanga lase Natal in Durban, die von John L. Dube zu Beginn des Jahrhunderts gegründet worden war (s. Ausflug Inanda/INK). 1957 wechselte Nakasa nach Johannesburg und schrieb Beiträge für verschiedene Zeitungen: Drum, Golden City Post, Rand Daily Mail.
In vielen Artikeln und in seiner Kolumne in der liberalen Rand Daily Mail, für die er als erster schwarzer Journalist arbeitete, schrieb er gegen die sich verhärtende rassistische Haltung im Land an. Er gründete ein literarisches Magazin The Classic als Publikationsmöglichkeit für schwarze Autorinnen/Autoren und arbeitete eng mit Nadine Gordimer, der späteren Nobelpreisträgerin, zusammen. Er erhielt 1964 ein Niemann Stipendium für ein Studium des Journalismus am Harvard College in den USA. 1965 starb er mit 28 Jahren verzweifelt im Exil in New York – das Apartheidregime hatte ihm keinen Pass ausgestellt und die Rückkehr nach Südafrika verwehrt. 2014 wurden seine sterblichen Überreste nach Südafrika zurückgeführt und auf dem Friedhof Heroes’ Acre in Chesterville, Durban, bestattet. Eine Gedenkveranstaltung in der Durban City Hall würdigte ihn: Nat Nakasa hatte das Apartheidsystem mit der Feder herausgefordert.
Im Band The Works of Nat Nakasa, herausgegeben von Essop Patel, erschienen 1975 Nakasas vielfältige Texte aus seiner Zeit in Südafrika und den USA. Im Jahr 2013 veröffentlichte Ryan Brown die Biografie A Native from Nowhere. The Life of Nat Nakasa.
Lewis Nkosi. 2002. “Blick in die Grauzonen der Post-Apartheid-Gesellschaft. Die Freiheit der Desillusionierten”. Neue Züricher Zeitung: 22. 7. 2002.
Lewis Nkosi, Autor und Literaturkritiker, interessierte sich für Werke, die die gesellschaftlichen Veränderungen nach Ende der Apartheid reflektieren und setzte sich mit Johan van Wyks Buch Man Bitch, geschrieben 2001, auseinander. Der Autor dieses “seltsam hybriden Buches” war damals Literaturdozent an der University of Duban-Westville und sein Buch hatte aufgrund der darin geschilderten sexuellen Geschichten in den akademischen Kreise starke Reaktionen ausgelöst.
Es gibt Einblick in die rohe Realität der zwielichtigen Gillespie Street in Durban in der Zeit kurz nach Ende der Apartheid. Die Gillespie Street (oder Gillepsie Street, wie sie im Text genannt wird), liegt zwischen Hafen und Marine Parade (jetzt OR Tambo Parade) und führt auf die Landzunge The Point. Inzwischen verändert sich dieses lange vernachlässigte Gebiet, es soll modernisiert und exklusiv bebaut werden.
Desolater Sündenpfuhl
Van Wyk lebt in einem winzigen Einzimmerappartement im vierten Stock der Nr. 27, Oxford House, an der Gillepsie Street in Durban. Von seinem Hochsitz aus hat er freien Blick auf die in dieser Gegend häufigen Schlägereien und Raubüberfälle und kann den lautstark über die Straße weg ausgetauschten Begrüßungen lauschen, mit welchen die einst stummen schwarzen Opfer der Apartheid nun ihr Recht auf akustische Präsenz zu reklamieren scheinen. Nr. 27 Oxford House, ist auch die Verlagsadresse von Man Bitch – einem schmalen Band von 89 Seiten, dessen Prosa denkbar platt und schmucklos wirkt und dessen Inhalt jede direkte Bezugnahme auf die früheren politischen und sozialen Strukturen des Apartheidstaats vermeidet. Die unsägliche Banalität des Stils ist ganz offensichtlich beabsichtigt.
Halb Roman, halb Autobiographie ist Man Bitch vorab auch eine atemlose Erkundung der fauligen, schillernden Schwäre der Stadt Durban – der Quadratmeile, die sich zwischen den Docks und der Marine Parade am Meeresufer erstreckt. Hinter der aufgeputzten Front der Strandhotels verläuft die Gillepsie [sic – auch Gillespie in der längeren englischen Version] Street, van Wyks Inferno: ein in ungesundes Neonlicht getauchter Straßenzug, das Reich von Drogensüchtigen, schwarzen und weißen Prostituierten und kleinen Gangstern. Gesäumt von Hotels, deren frühere Eleganz wie billige Schminke abblättert, von spinnwebverhängten Supermärkten, staubigen Schnapsbudiken und fliegenverschissenen Lebensmittellädchen, ist die Gillepsie Street eine horizontale Hölle ohne Tiefe, aber mit beträchtlicher Oberfläche; besiedelt von einem ständig bewegten menschlichen Magma, das vierundzwanzig Stunden am Tag nicht zur Ruhe kommt.
Wenn van Wyks Prosa platt ist, dann entspricht sie damit lediglich den Seelenlandschaften, die sie beschreibt. Die Charaktere, die im Buch auftreten, haben weder Tiefe noch Persönlichkeit, kaum Innenleben. Da gibt es keine ziselierten Beschreibungen von Interieurs und familiären Verstrickungen, wie sie den bürgerlichen Roman zieren; vor allem aber kommt auch das Wort Arbeit nicht vor, es sei denn, man wolle – wie es da und dort ja schon üblich ist – diesen Begriff auch auf sexuelle Dienstleistungen ausdehnen. Gelegentlich erwähnt van Wyk sein Büro in der Universität oder die Teilnahme an internationalen Konferenzen; aber kein Funken von Bedeutsamkeit erhellt diese Passagen, höchstens dann und wann ein mokanter Humor: “Das Südafrika-Institut ist ein mickriges kleines Gebäude mit engem Treppenhaus. Die Leute innen drin sind seit dem Ende der Apartheid auf der Suche nach einem neuen Lebenssinn.”
Gezeiten einer Stadt
Durban, die Szenerie dieser Memoiren, ist nach Johannesburg und Kapstadt die drittgrößte Stadt Südafrikas, zudem der wichtigste Hafen des Landes und einer der zehn bedeutendsten weltweit. Dieser natürliche Hafen ist das Kapital – vielmehr der eigentliche Daseinsgrund – der Stadt. Vor fünfhundert Jahren hatte der portugiesische Seefahrer Vasco da Gama auf seiner Suche nach der Indien-Passage dieses Juwel entdeckt: eine Seebucht, bestens geschützt vor den heftigen Winden, die einige der besten Schiffe auf dem Indischen Ozean hatten zu Bruch gehen lassen. Am Weihnachtstag fuhr da Gama in der Bucht ein; deshalb nannte er den Landstrich Natal.
Dieser Idylle des Friedens war keine Dauer beschieden. Die Küstenlinie zwischen dem Südkap und der Bucht von Natal wurde bald zu einem Jagdgrund für Freibeuter, Piraten und Meuterer, die auf eigene Faust Seehandel betrieben. Erst zweihundert Jahre nach da Gamas Entdeckung entsandte die holländische Ostindien-Gesellschaft einen Kapitän mit der Weisung, die Bucht und das umliegende Land in ihrem Namen zu erwerben. Die Zahlung – Glasperlen, Kupferringe, Eisenwaren und Glitzertand im Wert von tausend Gulden – wurde einem lokalen Häuptling namens Nyangesi übermacht, und der Kontrakt war kaum das Papier wert, auf dem er geschrieben stand. Erst Shaka, der berühmte Zulu-König, übergab das Land später rechtskräftig den Briten, die inzwischen den Handel an der Küste beherrschten. Im März 1835 wurde Port Natal in Durban umbenannt, zu Ehren von Sir Benjamin D’Urban, dem britischen Gouverneur der Kapregion.
Zur Zeit als ich in Durban aufwuchs, waren Strand, Quai und Hafengegend verbotenes Terrain für uns – ein Paradies weißer Privilegien, das durch die schiere Logik des Ausschließens den Menschen zweiter Klasse, den Armen und den Schwarzen, umso unwiderstehlicher erschien. Wie lockten uns diese Meilen schimmernd weißen Sandes, das rastlose Glitzern des Indischen Ozeans, der wie ein Tor in die Ferne wirkte – eine täuschende Verheißung des Entkommens aus dem Land der Apartheid. In den fünfziger Jahren ließ ich den Protagonisten meines Romans Mating Bird mit solchen Gedanken im Kopf den großen Kreuzern nachschauen, welche die Bucht in Richtung Europa oder Amerika verließen. Und 2001 schilderte van Wyk, wie er mit seiner Gefährtin aus einem der Restaurants am Ufer blickt: “Sie sitzt dicht bei mir am Fenster, und wir betrachten die Hafenlichter am Ende des Piers und die Schiffe, die kommen und gehen.”
Menschliches Treibgut
Die großen Passagierschiffe gibt es inzwischen nicht mehr; doch die Handelsschiffe kreuzen noch immer geschäftig in der Bucht und wecken nach wie vor dasselbe Fernweh, das ich als Kind verspürte. Aber diejenigen, die heute den Schiffen nachsehen, sind ihrer Armut wegen genauso wenig frei, das Land zu verlassen, wie ich es damals war; es ist die “befreite” Unterklasse der enttäuschten Schulabgänger, der arbeitslosen Hausangestellten und der Prostituierten aus Not, der Drogenhändler und der auf krumme Wege Geratenen. Sie alle drängen sich nun auf einem Terrain, von dem sie noch vor wenig mehr als zehn Jahren mit der grünen Minna abgeholt und für “unbefugtes Herumlungern” in Arrest gesetzt worden wären. Das menschliche Treibgut der Taschendiebe, Dirnen und Dealer auf der Gillepsie Street repräsentiert die dunkle Unterseite der Post-Apartheid-Gesellschaft, die aber auch neue Themen für die Literatur generiert – vom händeringenden weißen Schuldbekenntnis bis hin zu van Wyks bewusster Erkundung und Annexion eines wertfreien Raums, in dem die aus dem Zusammenbruch der Apartheid hervorgegangenen neuen Identitäten sich – quasi als südafrikanische Elementarteilchen – zusammenfinden können.
Das Ende der Rassensegregation bedeutete nicht zuletzt, dass der weitgehend für Weiße reservierte urbane Raum von den bis anhin in die Shanty-towns verbannten Schwarzen erobert werden konnte. Die damit einhergehende Veränderung des sozialen Raums geht über die Möglichkeit einer Durchmischung der zuvor künstlich separierten ethnischen Gruppen hinaus; sie leitet eine Veränderung ein, die über kurz oder lang ihren Niederschlag in Kultur, Literatur und Selbstgefühl finden wird. “Ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich noch weiß bin”, sagt van Wyk. “Ich bin Südafrikaner, ein Mensch, der in der Gegend der Marine Parade in Durban lebt. Ich bin stolz auf die Art, wie die Menschen hier zusammenleben, reich und arm, weiß und schwarz in allen Nuancen.” (NZZ, 22.7. 2002)
Der Zeitungsartikel “Blick in die Grauzonen der Post-Apartheid-Gesellschaft. Die Freiheit der Desillusionierten”, aus dem der obige Auszug stammt, ist Teil eines längeren Textes: “The World of Johan van Wyk”. (Titel und Zwischenüberschriften wurden von der Zeitung eingefügt.)
(Zum Autor Lewis Nkosi und seinem Werk siehe ausführlich: Orte: Durban Strand & Promenade).
Für die weitere Lektüre:
Nat Nakasa:
Patel, Essop (Hg). 2005 (1975). The Works of Nat Nakasa. Johannesburg: Picador Africa.
Brown, Ryan. 2013. A Native from Nowhere. The Life of Nat Nakasa. Auckland Park: Jacana.
Lewis Nkosi:
Nkosi, Lewis. 2002. “Blick in die Grauzonen der Post-Apartheid-Gesellschaft. Die Freiheit der Desillusionierten”. Neue Züricher Zeitung: 22.7.2002. (Abgedruckt in: Stiebel, Lindy/Steffen, Therese (eds.). 2014. Letters to My Native Soil. Lewis Nkosi writes home (2001-2009). Zürich/ Berlin: LIT Verlag).
(Siehe auch Literaturliste bei Orte: Durban Strand & Promenade)
Zu den anderen Orten: